WENN ZWEI SICH STREITEN, LEIDET DER DRITTE - UPDATE ZUM BERLINER MIETENDECKEL
Das volkstümliche Sprichwort trifft auf die aktuelle Rechtslage zum "Gesetz zur Mietenbegrenzung im Wohnungswesen in Berlin" (MietenWoG Bln), besser bekannt als Berliner Mietendeckel, nur abgewandelt zu. Denn freuen kann sich der Dritte mittlerweile nicht mehr. Zumindest nicht, wenn man als Dritte diejenigen betrachtet, für die der Berliner Mietendeckel ins Leben gerufen wurde: die Mieter. Denn die Freude über den Berliner Versuch zur Begrenzung der Wohnraummieten währte nur so lange, bis klar wurde, dass nichts klar ist.
I. Weiterhin offene Gretchen- Frage
Bereits vor Beschluss des Berliner Mietendeckels gab es erhebliche Zweifel daran, ob einem Landesgesetzgeber die Kompetenz zum Erlass von Regelungen über die Begrenzung von Mieterhöhungen in laufenden Mietverhältnissen und über die zulässige Miethöhe bei Neuvermietungen zusteht (mehr dazu hier).
Diese Gretchen- Frage bleibt weiterhin unbeantwortet, obwohl vielfach beantwortet- jedenfalls aber weiterhin ungeklärt:
Während die 67. Zivilkammer des Landgerichts Berlin (Beschluss vom 12.03.2020, Az.: 67 S 274/1, ebenso Beschluss vom 06.08.2020, Az.: 67 S 109/20) einstimmig mit dem Bayerischen Verfassungsgerichtshof (BayVerfGH) mit einem überzeugten NEIN antworteten, hallte nunmehr ein klares JA von der 66. Zivilkammer in Berlin zurück (Landgericht Berlin, Urteil vom 31. Juli 2020, Az.: 66 S 95/2). Der Faust dieser Geschichte, das Bundesverfassungsgericht (BVerfG), hält sich bislang bedeckt und hat die Frage zunächst als "offen" vertagt. (Beschluss vom 10. März 2020, Az.:1 BvQ 15/20).
II. Die Entscheidungen und ihre Bedeutung
1. LG Berlin - 67. Zivilkammer
Zu entscheiden hatte die 67. Zivilkammer über das Begehren einer Vermieterin zur Zustimmung ihrer Mieterin zur Erhöhung der Miete bis zur ortsüblichen Vergleichsmiete. Das Gericht befand am 12.03.2020 (Az.: 67 S 274/1), dass dem Land Berlin hinsichtlich Artikel 1 § 3 (Mietenstopp) „insoweit jede Gesetzgebungskompetenz [fehlt]“, das Gesetz daher formell verfassungswidrig und nichtig ist. Folgerichtig wurde diese Frage dem BVerfG zur Entscheidung vorgelegt und das ursprüngliche Verfahren ausgesetzt. Diese eindeutige Rechtsauffassung bestätigte die 67. Zivilkammer mit ihrem Beschluss vom 06.08.2020 (Az.: 67 S 109/20), in der sie an ihrem Vorlagebeschluss festhält.
Eine endgültige Entscheidung in diesen beiden Verfahren kann erst ergehen, wenn die vorgelegte Frage von dem BVerfG beantwortet wurde.
2. BayVerfGH
In Bayern wurde durch die Entscheidung des BayVerfGH (zumindest bis zu einer anderslautenden Entscheidung durch das BVerfG) Rechtssicherheit geschaffen. Das bayerische Volksbegehren "#6 Jahre Mietenstopp" wurde für unzulässig erklärt, da dem Freistaat nach Ansicht der Richter keine Gesetzgebungskompetenz im Bereich der mietpreisrechtlichen Regelungen für ungebundenen Wohnraum zusteht (mehr dazu hier).
Freilich bindet diese Entscheidung allein Vorhaben, die für Bayern angestrebt werden. Jedoch ist der Maßstab, nach dem diese Entscheidung getroffen wurde, allein das Grundgesetz, welches für alle Bundesstaaten gleichermaßen von Bedeutung ist.
3. LG Berlin - 66. Zivilkammer
Ganz so klar ist das Meinungsbild in Berlin innerhalb des Landgerichts nicht. Unbeeindruckt von der Entscheidung der Kollegen und deren Vorlage an das BVerfG, sieht die 66. Zivilkammer des Landgerichts "das Gesetz zum sog. „Berliner Mietendeckel“ weder formell noch materiell als verfassungswidrig an" (Pressemitteilung des LG Berlin vom 31.07.2020). Zu entscheiden war die Frage, ob das Mieterhöhungsverlangen einer Vermieterin vom 18. Juni 2019 auf ein nach den §§ 3 Abs. 1 Satz 1 MietenWoG Bln und 134 BGB verbotenes Rechtsgeschäft gerichtet war. Dies bejahten die Richter unter der Einschränkung, dass das gesetzliche Verbot höherer Mieten nicht zum Stichtag am 18. Juni 2019, sondern erst ab dem 23. Februar 2020 (Tag des Inkrafttretens des Mietendeckels) gelte.
Bei dieser Entscheidung, wie auch bei der vorangegangenen Entscheidung der 67. Zivilkammer, wurde die Frage nachder Verfassungsmäßigkeit des Artikel 1 § 3 (Mietenstopp) MietenWoG Bln inzident im Rahmen des Bestehens zivilrechtlicher Ansprüche geprüft.
III. Rechtsunsicherheit in Berlin und ihre Folgen
Die Rechtsunsicherheit für die Berliner Mieter und Vermieter liegt auf der Hand. Das Problem liegt insbesondere darin, dass sich, je nach Beantwortung der Gretchenfrage, unterschiedliche Miethöhen ergeben können. In der Praxis hat dies u.a. dazu geführt, dass Vermieter bei der Neuvermietung Klauseln in ihre Mietverträge aufnehmen, durch welche zwei Miethöhen vereinbart werden (sogenannte Schattenmieten): eine gedeckelte (im Falle der Geltung des Mietendeckels) und eine marktübliche (im Falle der Nichtigkeit). Gezahlt wird zunächst die gedeckelte Miete.
Sollte das BVerfG zu der Entscheidung kommen, dass keine Gesetzgebungskompetenz des Landes besteht, und das Gesetz (deshalb) als von Anfang an nichtig erklären, würde rückwirkend die marktübliche (höhere) Miethöhe gelten; der Mieter müsste die Differenz zeitnah nachzahlen. Ebenso verhält es sich je nach Sachverhalt für Bestandsmieten mit Staffel- oder Indexmieten wie auch von dem Vermieter erklärten Mieterhöhungen. Da es bis zur Entscheidung des BVerfG über den Mietendeckel noch Monate dauern kann, können sich Rückzahlungen in immenser Höhe ansammeln.
Die herrschende Rechtsunsicherheit geht somit auf Kosten der Mieter und Vermieter beiderseits: Vermieter bleiben im Dunkeln, welche Miete sie derzeit wirksam verlangen dürfen und befinden sich somit in der Zwickmühle. Berechnen sie die Miete nach den Regelungen des BGB, insbesondere der Mietpreisbremse und nach Maßgabe der ortsüblichen Vergleichsmietmiete, laufen sie Gefahr eine Ordnungswidrigkeit zu begehen, falls der Mietendeckel hält. Berechnen die Vermieter die Miethöhe nach den Vorgaben des MietenWoG Bln und stellt sich dieser als verfassungswidrig heraus, werden sie in ihrem Eigentumsrecht beschnitten und insbesondere private Vermieter büßen unter Umständen Teile ihrer Altersvorsoge ein. Mieter hingegen wissen nicht, welchen Mietzins sie nun schulden und ob und wann sie die derzeit gesparten Beiträge zurückzahlen müssen. Um spätere finanzielle Engpässe zu vermeiden, sollten die Differenzbeträge daher bereits jetzt eingespart werden. Denn sonst sehen sich später viele bzw. hauptsächlich diejenigen, die durch den Mietendeckel ursprünglich geschützt werden sollten, mit Nachzahlungen konfrontiert, die das finanzielle Polster aufbrauchen bzw. überfordern können. Auch eine Kündigung des Mietverhältnisses durch den Vermieter wegen Zahlungsverzuges könnte in diesen Fällen schneller Realität werden, als manch ein Mieter heute vermutet.