BGH klärt zu § 9a Abs. 2 WEG n.F.: Wohnungseigentümergemeinschaft kann weiterhin Ansprüche auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum per Mehrheitsbeschluss an sich ziehen.
Der Bundesgerichtshof („BGH“) fällt mit Urteil vom 11. November 2022 – V ZR 213/21 (Pressemitteilung hier) ein für das Bauträger- und WEG-Recht wichtiges Urteil.
Seit Einführung von § 9a Abs. 2 WEG mit der WEG-Reform ab 01.12.2020 war fraglich, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer („WEG“) oder der einzelne Erwerber den Anspruch auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gegenüber dem Bauträger ausüben darf, und, ob die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer die Ausübung solcher Ansprüche (wie nach altem Recht) per Mehrheitsbeschluss an sich ziehen („vergemeinschaften“) kann.
Der BGH klärt mit Urteil vom 11. November 2022 – V ZR 213/21, dass der Anspruch auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum dem einzelnen Erwerber aus dem individuellen Erwerbervertrag zusteht und der Erwerber auch weiterhin solche Ansprüche selbst ausüben darf. Die WEG darf aber im Rahmen ihrer Verwaltungsbefugnis per Mehrheitsbeschluss die Ausübung der Mängel am Gemeinschaftseigentum an sich ziehen und ist dann allein für deren Geltendmachung zuständig. Ein vor dem 01.12.2020 gefasster Beschluss über die Vergemeinschaftung von Ansprüchen auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gilt auch unter dem neuen WEG-Recht fort. Entsprechend bleiben unter dem alten Recht eingeleitete Klagen von Wohnungseigentümergemeinschaften gegen Bauträger auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum weiter zulässig.
Hintergrund
Am 1. Dezember 2020 ist die WEG-Reform in Kraft getreten. Mit ihr ist die Regelung zu der "Vergemeinschaftung durch Mehrheitsbeschluss" in § 10 Abs. 6 Satz 3 Halbsatz 2 WEG a.F. ersatzlos entfallen. Seitdem war umstritten, wer befugt ist, die primären Rechte wegen Mängeln am Gemeinschaftseigentum, also den Anspruch auf Mangelbeseitigung, Vorschuss, Ersatzvornahme, gegen den Bauträger geltend zu machen. Die Klärung dieser Frage ist entscheidend. Denn macht jemand einen Anspruch geltend, ohne dazu befugt zu sein, hat er damit keinen Erfolg. Er verliert die Klage und die Verjährungsfrist für Mängelansprüche des Befugten ist nicht gehemmt.
Der neue § 9a Abs. 2 WEG regelt die sog. „geborene Ausübungsbefugnis“, d.h. welche Rechte der Wohnungseigentümer die WEG ausübt, und lautet wie folgt:
(2) Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer aus, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und nimmt die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahr.
Auf dieser Grundlage kann die WEG die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte sowie solche Rechte der Wohnungseigentümer ausüben, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern, und die entsprechenden Pflichten der Wohnungseigentümer wahrnehmen.
Fraglich war in der Folge, ob aus § 9a Abs. 2 WEG n.F. auch die Befugnis der WEG zur Geltendmachung der Ansprüche gegen den Bauträger hergeleitet werden kann:
1. „Die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer übt …Rechte … aus“
Zunächst muss klar sein, dass § 9a Abs. 2 WEG n.F. davon spricht, in welchen Fällen die WEG Rechte der einzelnen Wohnungseigentümer ausübt. Es geht nicht um die eigenen Rechte der WEG. Für ihre eigenen Rechte (z.B. für die Ansprüchen aus dem Vertrag zwischen der WEG und dem Hausmeister) hat sie auch ohne Weiteres das Recht, sie auszuüben / geltend zu machen.
2. „die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte“
Ansprüche „aus dem gemeinschaftlichen Eigentum“ gem. § 9a Abs. 2 WEG sind Ansprüche, die kraft Gesetzes aus dem dinglichen Rechtsinhalt folgen, d.h. insbesondere die Ansprüche auf Herausgabe des Eigentums und Unterlassung von Eigentumsstörungen sowie auf Besitzschutz und Schadenersatz wegen Eigentumsverletzung, soweit Gemeinschaftseigentum betroffen ist. Die WEG ist z.B. befugt, die Schadenersatzansprüche der Wohnungseigentümer wegen einer durch einen Dritten beschädigten Fassade gegen den Dritten geltend zu machen.
3. „solche Rechte der Wohnungseigentümer, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern“
Ansprüche der Wohnungseigentümer, „die eine einheitliche Rechtsverfolgung “ gem. § 9a Abs. 2 WEG erfordern, sind Ansprüche, die auf eine Leistung an alle Wohnungseigentümer gerichtet sind, bei denen ein alleiniges Vorgehen eines Wohnungseigentümers als Rechtsinhaber die Interessen der Gemeinschaft beeinträchtigen und der Schuldner sich mehreren verschiedenen Forderungen der Wohnungseigentümer ausgesetzt sehen würde.
Streit, wer die primären Mängelrechte betreffend das Gemeinschaftseigentum ausüben darf:
Aus dem Bauträgervertrag stehen den einzelnen Eigentümern nach Abnahme Mängelansprüche (am Gemeinschafts- und Sondereigentum) gegen den Bauträger zu. Sie haben also die Rechtsinhaberschaft.
Soweit es sich jedoch um Mängel am Gemeinschaftseigentum handelt, hat die WEG die Aufgabe und Pflicht, innerhalb ordnungsmäßiger Verwaltung sich um die Rechtsverfolgung zu kümmern. Es ist ihre sog. Verwaltungsaufgabe.
Unstreitig ist, dass einzelne Eigentümer nicht darüber entscheiden können, ob die Mängel am Gemeinschaftseigentum belassen werden und sich der jeweilige Preis mindert. Das Recht zu mindern oder der Anspruch auf kleinen Schadenersatz stehen nur der WEG zu und nicht dem einzelnen Eigentümer. Der einzelne Eigentümer kann nicht für alle Eigentümer entscheiden, dass der Mangel am Gemeinschaftseigentum nicht beseitigt wird. Der einzelne Eigentümer hat entsprechend keine Ausübungsbefugnis.
Umstritten war allerdings, ob der einzelne Eigentümer den Bauträger zur Mangelbeseitigung bzgl. eines Mangels am Gemeinschaftseigentum wirksam auffordern und Vorschuss an die WEG verlangen kann.
1. Nach einer Ansicht (vgl. Falkner in: Gsell/Krüger/Lorenz/Reymann, beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.06.2022, WEG § 9a Gemeinschaft der Wohnungseigentümer, Rn. 185 ff. m.w. N.) ist das Recht auf Mangelbeseitigung ein „Recht der Wohnungseigentümer, das eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordert“, sodass von Anfang an nur die WEG ausübungsbefugt ist.
Diese Ansicht argumentiert wie folgt: Zur Erhaltung als Verwaltungsaufgabe gehört auch die erstmalige ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums. Eine einheitliche Rechtsverfolgung ist zur Koordinierung erforderlich, da der Bauträger sich bei einer unkoordinierten Anspruchsverfolgung durch einzelne Wohnungseigentümer sonst verschiedenen Anspruchsinhalten (Nacherfüllung oder deren Kompensation durch Minderung) gegenübersieht.
2. Nach anderer Ansicht (vgl. Müller in: Hügel, Wohnungseigentum, § 3 Erwerb von Wohnungseigentum, 5. Auflage 2021, Rn. 141 m.w.N.) ist das Recht auf Mangelbeseitigung erst ab einer entsprechenden Entscheidung der WEG ein „Recht der Wohnungseigentümer, das eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordert“, sodass von Anfang an der Erwerber ausübungsbefugt ist, bis die WEG die Ausübung an sich zieht.
Diese Ansicht argumentiert wie folgt: Die sog. primären Mängelrechte, zu denen Nacherfüllung, Selbstvornahme und das Verlangen eines Kostenvorschusses zählen, beeinträchtigt die schutzwürdigen Belange des Bauträgers nicht, weil alle Erwerber primär nur diese Mängelbeseitigungsansprüche besitzen. Diese Rechte sind nicht gemeinschaftsbezogen. Dementsprechend besitzt die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer für diese Rechte keine Ausübungsbefugnis. Jeder Erwerber kann diese Rechte individuell gegenüber dem Bauträger verfolgen. Der Grund für die Möglichkeit einer gemeinsamen Verfolgung auch dieser Mängelrechte liegt vielmehr darin, dass die Erhaltung des gemeinschaftlichen Eigentums gem. § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG grundsätzlich auch eine Verwaltungsangelegenheit ist, über welche die Wohnungseigentümer durch Beschluss entscheiden können und deren Wahrnehmung oder Nichtwahrnehmung dann (aber auch erst dann) durch die Gemeinschaft der Wohnungseigentümer erfolgt.
3. Bedeutung
Nach der ersten Ansicht kann der einzelne Eigentümer keine Mangelbeseitigung verlangen, also schon keine Frist zur Mangelbeseitigung wirksam setzen. Er muss sich also zwingend an die WEG wenden. Vertreten wird innerhalb dieser Ansicht, dass zumindest im Hinblick auf den Rücktritt vom Vertrag oder den großen Schadenersatz der Erwerber aber eine wirksame Frist setzen können soll.
Nach der zweiten Ansicht kann der einzelne Eigentümer Mangelbeseitigung bis zu einem Beschluss der WEG über die (Nicht-)Geltendmachung verlangen. Umstritten ist innerhalb dieser Ansicht noch, ob der einzelne Erwerber noch Mangelbeseitigung verlangen kann nach dem Vergemeinschaftungsbeschluss, solange er damit nicht gemeinschaftsbezogene Interessen der Wohnungseigentümer oder schutzwürdige Interessen des Bauträgers beeinträchtigt.
Streitentscheidung durch BGH Urteil vom 11. November 2022 – V ZR 213/21
Der BGH hat sich mit Urteil vom 11. November 2022 nun der Ansicht angeschlossen, wonach der einzelne Eigentümer die primären Mängelrechte weiter geltend machen kann, aber die WEG die Ausübung dieser Rechte auch im Rahmen ihrer Verwaltungsbefugnis per Mehrheitsbeschluss an sich ziehen / vergemeinschaften kann und dann allein zuständig ist.
Der BGH hat ausgeführt, dass es sich bei den primären Mängelrechten nicht um Rechte handelt, die von § 9a Abs. 2 WEG n.F. erfasst sind.
Es handelt sich bei den primären Mängelrechten nicht um aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebende Rechte, da sie nicht aus dem gemeinschaftlichen Eigentum, sondern aus den jeweiligen Erwerberverträgen resultieren.
Es handelt sich bei den primären Mängelrechten auch nicht um Rechte der Wohnungseigentümer, die eine einheitliche Rechtsverfolgung erfordern. Denn sie erfordern keine einheitliche Rechtsverfolgung. „Denn der Wohnungseigentümer, der selbstständig die Mängelbeseitigung gegen den Veräußerer verfolgt, handelt grundsätzlich auch im wohlverstandenen Interesse aller Wohnungseigentümer, und er darf seine vertraglichen Rechte im Grundsatz selbst wahrnehmen.“
Der BGH hat aber gleichzeitig geklärt, dass eine Vergemeinschaftung der auf das Gemeinschaftseigentum bezogenen Erfüllungs- und Nacherfüllungsansprüche der Wohnungseigentümer durch Mehrheitsbeschluss durch die Einführung § 9a Abs. 2 WEG n.F. nicht ausgeschlossen und weiterhin möglich ist. Die Beschlusskompetenz der WEG, die Ausübung primärer Mängelrechte an sich zu ziehen / zu vergemeinschaften, ergibt sich unverändert aus der Verwaltungsbefugnis für das Gemeinschaftseigentum sowie der in § 19 Abs. 2 Nr. 2 WEG geregelten Pflicht zu dessen Einhaltung. Ordnungsmäßiger Verwaltung wird es auch weiterhin regelmäßig entsprechen, einen gemeinschaftlichen Willen darüber zu bilden, wie die ordnungsgemäße Herstellung des Gemeinschaftseigentums zu bewirken ist und ggf. welche vertraglichen Ansprüche geltend gemacht werden sollen.
Entsprechend hat der BGH geklärt, das ein zum alten Recht gefasster Beschluss der WEG, den Anspruch auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum an sich zu ziehen und den Bauträger zu verklagen, auch nach Inkrafttreten des § 9a Abs. 2 WEG fortbesteht und eine darauf gestützte Klage der WEG weiter zulässig bleibt.
Praxishinweis
Der BGH hat geklärt, dass jeder Eigentümer die primären Mängelrechte selbst wahrnehmen darf, aber die WEG deren Ausübung im Rahmen der ordnungsmäßigen Verwaltung per Beschluss an sich ziehen darf und dann allein zuständig wird. Dies ist wichtig bei Fristsetzungen und bei Klagen gegen den Bauträger auf Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum.
Zu achten ist aber weiterhin darauf, ob nicht in der Gemeinschaftsordnung oder einer anderen Vereinbarung eine wirksame abweichende Ausübungsbefugnis vereinbart worden ist (Stichwort: Sondernutzungsrecht), sodass ein hiervon abweichender Mehrheitsbeschluss nichtig wäre.
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