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Insolvenzanfechtung bei bargeschäftsähnlichem Leistungsaustausch

16. Dezember 2019 von Sven Hoffmann

BGH, Urteil vom 19. September 2019, Az.: IX ZR 148/19

Eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH) beschäftigt sich erneut mit der Problemstellung des bargeschäftsähnlichen Leistungsaustauschs. Ein solcher liegt vor, wenn Leistungen an eine – insolvenzreife – Gesellschaft erbracht werden, die diese für die Aufrechterhaltung des Geschäftsbetriebes benötigt und von dieser auch jeweils kurzfristig bezahlt werden. Die Frage ist, ob die erhaltene Gegenleistung anfechtbar erworben ist, also vom Vertragspartner wieder herausgegeben werden muss, wenn es später zu einem Insolvenzverfahren kommt. In der vorliegenden Entscheidung stärkt der BGH die Rechte der Gläubiger und erschwert die Anfechtung.

Sachverhalt

Im entschiedenen Fall hatte eine GmbH am 14.10.2011 Insolvenzantrag gestellt. Der vorläufige Verwalter wandte sich am 18.10.2011 in einem Schreiben an die Beklagte, eine Spedition, und erklärte, er habe die notwendigen Maßnahmen veranlasst, um einen reibungslosen weiteren Betriebsablauf zu gewährleisten. Leistungen, die von der Beklagten ab jetzt erbracht werden, würden von einem von ihm eingerichteten Treuhandkonto beglichen. Der vorläufige Verwalter bat ausdrücklich darum, dass die Beklagte durch die Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung die „Bemühungen um den langfristigen Fortbestand der Gesellschaft“ unterstützt.

Die Beklagte nahm daraufhin zwei weitere Speditionsaufträge der Insolvenzschuldnerin an. Die Aufträge wurden bis Jahresende 2011 durchgeführt, unverzüglich abgerechnet und noch im Januar 2012 bezahlt.

Zwischenzeitlich hatte die Insolvenzschuldnerin ihren Insolvenzantrag zurückgenommen, was die Beklagte erst nach der Rechnungsstellung – aber vor der Zahlung – erfuhr. Die Insolvenzschuldnerin musste einige Zeit später einen erneuten Insolvenzantrag stellen, bei der derselbe Verwalter bestellt wurde. Es stellte sich heraus, dass die Zahlungsunfähigkeit der Insolvenzschuldnerin in Wahrheit nie behoben worden war; der Insolvenzantrag also nicht hätte zurückgenommen werden dürfen. Außerdem war die Fortführung des Geschäftsbetriebs auch nach der Rücknahme des Antrags weiter defizitär.

Der klagende Verwalter machte im jetzt eröffneten Insolvenzverfahren bei der Beklagten die Rückzahlung der erhaltenen Vergütung für die zwei ausgeführten Aufträge nach den Bestimmungen der Vorsatzanfechtung geltend. Die Beklagte habe aufgrund des vorherigen Insolvenzantrages gewusst, dass die Insolvenzschuldnerin zahlungsunfähig gewesen sei und die Zahlung der Vergütung deshalb die anderen Gläubiger benachteilige; sie müsse die erhaltene Vergütung daher wieder herausgeben.

Die erste Instanz wies die Klage noch mit der Begründung ab, dass der Verwalter treuwidrig handele, wenn er zunächst zur Aufrechterhaltung der Geschäftsbeziehung auffordere und erkläre, die Bezahlung der Aufträge sei gesichert, und nunmehr die Anfechtung geltend mache. Dagegen verurteilte das Oberlandesgericht die Beklagte zur Rückzahlung der erhaltenen Vergütung.

Entscheidung

Der Bundesgerichtshof wies die Klage des Insolvenzverwalters ab. Er verwies dabei zunächst auf seine in einer Entscheidung aus dem Jahr 2017 herausgearbeiteten Grundsätze:

  • Wenn die spätere Insolvenzschuldnerin eine Zahlung deshalb erbringe, weil sie damit Zug um Zug zu marktüblichen Preisen eine Gegenleistung einkaufen will, die für die Fortführung des Geschäftsbetriebs unabdingbar ist, liege ein bargeschäftsähnlicher Leistungsaustausch vor.
  • Für die Frage der Gläubigerbenachteiligungsabsicht sei dann zu unterscheiden: wenn die Fortführung allen Gläubigern zu Gute kommen soll, fehle es an einer Gläubigerbenachteiligungsabsicht. Wisse die spätere Insolvenzschuldnerin jedoch, dass sie trotz der Belieferung zu marktgerechten Konditionen weiterhin unprofitabel arbeitet und deshalb weitere Verluste anhäuft, verschlechterten sich ja die Befriedigungsaussichten der übrigen Gläubiger durch die Fortführung des Geschäftsbetriebs weiter, so dass die Fortführung mit Gläubigerbenachteiligungsabsicht erfolge. Das sei nach dem vorliegenden Sachverhalt tatsächlich der Fall.

Allerdings habe das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung übersehen, dass eine Anfechtung nach § 133 InsO weiterhin voraussetzt, dass der Anfechtungsgegner den Benachteiligungsvorsatz des Insolvenzschuldners kennt.

Im vorliegenden Fall hätte also die Beklagte Kenntnis darüber haben müssen, dass die Insolvenzschuldnerin den Betrieb defizitär fortführt. Dafür fand der BGH keine Anhaltspunkte. Im Gegenteil sei naheliegend, dass der klagende Verwalter mit seinem Schreiben nach dem ersten Insolvenzantrag bei der Beklagten den Eindruck erweckt habe, dass eine wirtschaftlich sinnvolle Fortführung des Geschäftsbetriebs grundsätzlich möglich sei. Jedenfalls – und das ist der Kern der Entscheidung – liege die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein Anfechtungsgegner im Rahmen bargeschäftsähnlicher Leistungen Kenntnis von einer defizitären Betriebsführung des späteren Insolvenzschuldners habe, beim Insolvenzverwalter.

Auf die – durchaus interessante – Frage, ob der Verwalter sich durch die Klage treuwidrig verhalten habe, weil er die Beklagte im Rahmen des ersten Insolvenzantrags ausdrücklich zur Erbringung der Leistungen aufgefordert und deren Zahlung garantiert hatte, kam es danach nicht mehr an, so dass der BGH dies ausdrücklich offen ließ.

Praxistipp

Die Entscheidung stärkt die Rechte der Gläubiger, die bargeschäftsähnliche Leistungen erbringen. Man wird im Regelfall nicht unterstellen können, dass der Vertragspartner eines späteren Insolvenzschuldners beurteilen kann, ob dieser defizitär arbeitet oder nicht. Der Insolvenzverwalter müsste eine solche – positive – Kenntnis beweisen. Gelingen könnte das wohl allenfalls beim Steuerberater oder bei der Hausbank des Insolvenzschuldners.

Die Entscheidung ist noch zur alten Fassung des Insolvenzanfechtungsrechts ergangen. Nach geltendem Recht ist in § 142 InsO, der Bargeschäfte regelt, ausdrücklich aufgenommen, dass solche Leistungen nur angefochten werden können, wenn der Vertragspartner die „Unlauterkeit“ des späteren Insolvenzschuldners erkannt hatte. Insofern passt die Entscheidung des Bundesgerichtshofs auch schon zur aktuellen Rechtslage.